Neue Einstufung von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) durch Schlichtungsausschuss – DDG warnt vor Folgen für Versorgung

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Neue Einstufung von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) durch Schlichtungsausschuss – DDG warnt vor Folgen für Versorgung | Foto: perfectlab – stock.adobe.com
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Neue Einstufung von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) durch Schlichtungsausschuss – DDG warnt vor Folgen für Versorgung

Eine neue Einstufung durch den Schlichtungsausschuss sieht vor, dass Unterzuckerungen nur noch im Zusammenhang mit einem Koma als Diabetes-Komplikation gelten sollen, stößt auf scharfe Kritik der DDG. Die Fachgesellschaft warnt vor finanziellen Folgen für Kliniken und möglichen Lücken bei der Versorgung von Menschen mit Diabetes bei milderen Hypoglykämien.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) kritisiert die aktuelle Entscheidung des Schlichtungsausschusses nach § 19 Krankenhausfinanzierungsgesetz. Danach gelten Unterzuckerungen (medizinischer Fachbegriff: Hypoglykämien) nur noch dann als Komplikation eines Diabetes mellitus, wenn ein hypoglykämisches Koma vorliegt. Unterzuckerungen ohne Bewusstlosigkeit würden damit nicht mehr als abrechnungsrelevante Komplikationen berücksichtigt. Dieser Schritt erhöht aus Sicht der Fachgesellschaft das Risiko einer Unterversorgung.

Für spezialisierte Diabete-Abteilungen enstünden zudem erhebliche finanzielle Nachteile. Die DDG betont, dass alle Formen der Unterzuckerung medizinisch klar als Diabetes-Komplikationen definiert sind. Der Beschluss weiche von etablierten Klassifikationslogiken ab und könne eine adäquate Versorgung leichter und mittelschwerer Unterzuckerungen erschweren.

Unterzuckerungen als anerkannte Komplikation

Unterzuckerungen treten spontan oder im Zusammenhang mit der Therapie auf und reichen von Zittern und Schwindel bis hin zu Krampfanfällen oder Bewusstlosigkeit. „Die ICD‑10‑GM (deutsche Fassung der internationalen Krankheits­klassifikation; Anm. d. Red.) ordnet Hypoglykämien eindeutig als Komplikation des Diabetes zu – unabhängig vom Schweregrad. Seit 2023 gibt es zusätzliche Kodes, die dies präzise abbilden“, erklärt Annette Ahollinger, Vorsitzende der DDG‑Kommission „Kodierung & DRGs in der Diabetologie“.

Kodieren erlaubt – berücksichtigen nicht?

Der Schlichtungsausschuss argumentiert, nicht jede Unterzuckerung verursache einen relevanten Mehraufwand, weshalb nur das diabetische Koma klinische Relevanz habe. Die DDG widerspricht: Professorin Dr. med. Julia Szendrödi bezeichnet die Entscheidung als problematisch, da sie Unterzuckerungen erst im lebensbedrohlichen Stadium als Komplikation anerkenne und damit Fehlanreize schaffe.

Was ist der Schlichtungsausschuss und was sind seine Aufgaben?

Der Schlichtungsausschuss nach § 19 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ist ein bundesweit zuständiges Gremium, das Streitfälle zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen klärt. Im Mittelpunkt stehen Fragen zur Auslegung der Abrechnungsregeln, zur Zuordnung von Diagnosen und Prozeduren sowie zur Bewertung des damit verbundenen Aufwands.

Der Ausschuss ist paritätisch besetzt: Vertreterinnen und Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen sowie der Krankenhäuser entscheiden gemeinsam über die Fragestellungen. Bei Bedarf können externe Fachleute hinzugezogen werden.

Die Beschlüsse des Ausschusses sind verbindlich und wirken bundesweit. Sie beeinflussen, wie Krankenkassen Leistungen vergüten und wie Kliniken Diagnosen wie Komplikationen oder Schweregrade kodieren. Dadurch haben seine Entscheidungen direkte Auswirkungen auf Versorgung, Abrechnungslogik und finanzielle Rahmenbedingungen der Krankenhäuser.

Die Regelungen gelten für alle Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes und für stationäre Fälle, die nach den jeweils festgelegten Stichtagen abgerechnet werden. Dadurch betreffen Beschlüsse nicht nur Einzelfälle, sondern das gesamte Vergütungssystem.

Folgen für Kliniken und Versorgung

Die neue Regelung greift ab dem 1. Januar 2026 und gilt auch für laufende Prüfverfahren. Kliniken könnten dadurch faktisch dazu gedrängt werden, milde und mittelschwere Unterzuckerungen nicht mehr abzubilden, da sie nicht in die Komplikationslogik einfließen und kein höheres DRG bewirken. DRG steht für „Diagnosis Related Groups“ und bezeichnet ein System, das stationäre Behandlungsfälle anhand von Diagnosen, Prozeduren und weiteren Merkmalen in Fallgruppen einteilt. Jede Gruppe steht für einen typischen Behandlungsaufwand und dient Kliniken als Grundlage für die Vergütung pauschaler Fallkosten.

„Werden Hypoglykämien nur im Zusammenhang mit einem Koma gewertet, besteht das Risiko, frühe klinische Warnsignale zu übersehen“, erläutert Privatdozent Dr. Dominik Bergis, Chefarzt der Diabetes Klinik Bad Mergentheim. Wiederkehrende Unterzuckerungen müssten weiterhin diagnostisch abgeklärt und therapeutisch angepasst werden. Dieser Aufwand müsse im Kodier-System bestehen bleiben.

Auswirkungen auf Menschen mit Diabetes

Die DDG warnt, dass durch den Beschluss die kontinuierliche Beobachtung von Unterzuckerungen an Bedeutung verlieren könnte. „Wenn nur ein Koma zählt, rückt der Extremfall in den Fokus“, so Prof. Szendrödi. Damit werde die medizinische Systematik auf einen Ausnahmefall reduziert, während milde und mittelschwere Unterzuckerungen aus dem Blick gerieten – entgegen einer vorausschauenden Versorgung.

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Frist für mögliche Klage endet am 5. Dezember

Gegen den Schlichtungsspruch können nur die Beteiligten des Verfahrens Klage einlegen. Der Bundesverband Klinischer Diabetes-Einrichtungen e.V. (BVKD) prüft gemeinsame rechtliche Schritte, eine Klage hätte jedoch keine aufschiebende Wirkung.

Einrichtungen könnten ab 2026 einzelne Streitfälle vor Gericht bringen, wenn Unterzuckerungen Auswirkungen auf Hauptdiagnose oder DRG haben. Prof. Szendrödi fordert Kliniken auf, medizinische und finanzielle Konsequenzen intern zu prüfen und gegenüber Krankenkassen zu adressieren. Die DDG plädiert für eine Überarbeitung der Entscheidung, damit die etablierte Klassifikation, nach der jede Unterzuckerung eine Diabetes-Komplikation darstellt, auch im Vergütungssystem erhalten bleibt.


von Redaktion Diabetes-Anker

mit Materialien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

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  • cesta postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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