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Seit sechs Jahren liefert der Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes (kurz: dt-report) wichtige Erkenntnisse zum Status der Digitalisierung und Nutzung von Diabetes-Technologie in Deutschland. Für den dt-report 2024 wurden neben den Diabetes-Profis auch wieder Menschen mit Diabetes befragt, über 2.700 von ihnen nahmen teil. Die Ergebnisse sind entscheidend, um die Einstellungen, Wünsche, Bedürfnisse und Barrieren von Menschen mit Diabetes zu erfassen und anzugehen.
Technologie hat die Diabetes-Therapie verändert: Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID) sind aus der Therapie des Typ-1-Diabetes nicht mehr wegzudenken. Aber auch andere Technologien wie Smart-Pens (Insulinpens, die Daten zur Insulinabgabe speichern und nutzbar machen können), Diabetes-Apps zur Unterstützung des Selbst-Managements oder die Online-Video-Schulung sind Beispiele für Digitalisierung beim Diabetes-Management. Wie sehen Menschen mit Diabetes diese Möglichkeiten, was erwarten sie und welche Bedenken bestehen? Dem widmet sich der dt-report.
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Dieses Jahr haben 2.747 Menschen mit Diabetes an der Befragung teilgenommen, 72 Prozent haben Typ-1-Diabetes, 18 Prozent Typ-2-Diabetes, 8 Prozent waren Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes (2 Prozent haben “Sonstiges” angegeben). Deutlich wird, dass CGM zum Standard der Glukosemessung geworden ist (Abb. 1). 96 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabets und 97 Prozent der Kinder mit Typ-1-Diabetes nutzen ein CGM-System, immerhin auch 56 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Die AID-Therapie ist zwar erst seit wenigen Jahren in Deutschland verfügbar, doch schon fast jeder zweite Teilnehmende mit Typ-1-Diabetes nutzt AID, bei Kindern liegt der Anteil sogar bei 61 Prozent. Die Zahlen werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich weiter steigen. Daten der dt-reports zeigen einen Anstieg der AID-Therapie seit 2019 um 1.300 Prozent – eine Verdreizehnfachung innerhalb von fünf Jahren. Wenig genutzt werden aktuell Smart-Pens. Hier die liegt die Nutzung bei 10 bis 15 Prozent.
Nach ihrer Einschätzung der wichtigsten Themenfelder in der Diabetologie gefragt (Abb. 2), zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Für Menschen mit Typ-1-Diabetes sowie Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes sind AID-Systeme das Top-Thema, gefolgt von Kompatibilität der Systeme und Software zur Analyse von Glukosedaten. Menschen mit Typ-1-Diabetes wünschen sich bessere Kompatibilität von CGM-Systemen, Insulinpumpen, AID-Algorithmen und anderen Systemen, um noch flexibler bei der Therapie zu sein.
Auch künstliche Intelligenz (KI) ist ein Zukunftsthema, zur Diagnostik von Folgekomplikationen oder zur Therapie-Unterstützung. Top-Thema bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ist Software zur Analyse der Glukosedaten. CGM ist im Bereich des Typ-2-Diabetes angekommen, und Menschen mit Typ-2-Diabetes erwarten Unterstützung von Software zur Interpretation von CGM-Daten. An zweiter Stelle bei Menschen mit Typ-2-Diabetes stehen Diabetes-Apps – ein Thema, das bei Menschen mit Typ-1-Diabetes eher auf den hinteren Rängen zu finden ist.
Das Bild möglicher Auswirkungen von AID auf die Versorgungssituation ist nach Einschätzung der Menschen mit Diabetes durchweg positiv (Abb. 3). AID-Therapie wird als Mittel zu mehr Eigenständigkeit und Selbstständigkeit gesehen. Diese Selbstständigkeit geht aber nicht zulasten des Kontakts mit Diabetes-Teams. Dieses bleibt ein wichtiger Bestandteil der Therapie, da auch erhöhter Schulungsbedarf durch AID-Systeme entsteht. Nur eine Minderheit der Teilnehmenden sieht ein Risiko der AID-Therapie durch die Eigenständigkeit bei der Therapie.
Strukturierte Schulung ist seit mehr als 100 Jahren fester Bestandteil der Diabetes-Therapie. Die Ergebnisse oben zeigen, dass Schulung durch AID-Therapie eher an Bedeutung gewinnt. Während der Corona-Pandemie wurde der Grundstein für Online-Video-Schulung gelegt. Die aktuelle Umfrage zeigt jedoch, dass fast zwei Drittel der Befragten eine Schulung im Präsenz-Format bevorzugen (Typ-1-Diabetes: 65 Prozent, Typ-2-Diabetes: 64 Prozent, Eltern: 55 Prozent). Doch auch für das eine Drittel müssen Strukturen für Online-Video-Schulungen geschaffen werden.
Bei den Schulungsmaterialien gibt es keine klare Präferenz (Abb. 4): Gedruckte Materialien und Material eingebunden in Schulungs-Apps liegen gleichauf. Diese Ergebnisse zeigen, dass es unterschiedliche Präferenzen für die Schulung gibt. Daher ist es wichtig, nicht nur auf eine Lösung zu setzen, sondern verschiedene Lösungen anzubieten, um möglichst allen Menschen mit Diabetes das anbieten zu können, was sie bevorzugen. Hier ist auch die Politik gefragt, die Voraussetzungen zu liefern, damit Online-Video-Schulungen und digitale Materialien angeboten und abgerechnet werden können.
Bereits jetzt ist die Nutzung von Diabetes-Apps allgemein hoch. Der überwiegende Teil der Menschen mit Diabetes nutzte sie zum Zeitpunkt der Befragung. Dieser Anteil wird in den nächsten fünf Jahren stark wachsen (Abb. 5). Seit drei Jahren besteht die Möglichkeit, bestimmte Diabetes-Apps verschrieben und von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen. Dafür müssen die Apps als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sein. Eine aktuelle Liste der DiGAs gibt es unter diga.bfarm.de/de/verzeichnis.
Aktuell am bedeutsamsten sind für die befragten Menschen mit Diabetes CGM, Insulinpumpen (CSII) und AID-Systeme (Abb. 6). Das größte Entwicklungspotenzial sehen die Befragten in der Bedeutsamkeit von Online-Video-Sprechstunden, Online-Video-Schulung und Diabetes-Apps. Hier gilt es herauszufinden, was die Erwartungen der Menschen mit Diabetes an diese Formate sind.
Weniger bedeutsam (29 Prozent) sehen die Befragten “Abnehm-Spritzen”. Ein Grund hierfür könnte eventuell in den diskutierten Nebenwirkungen dieser Medikamente liegen. Man muss beachten, dass überwiegend Menschen mit Typ-1-Diabetes an der Umfrage teilnahmen. Doch auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes liegt die Bedeutsamkeit aktuell lediglich bei 51 Prozent und knapp über 60 Prozent in fünf Jahren. In den nächsten Jahren wird es spannend sein, wie die Bedeutsamkeit und die Nutzung dieser Medikamente sich verändern.
Der dt-report 2024 ermöglicht einen Überblick über wichtige Themen der Diabetologie. So sehen Menschen mit Diabetes die Interoperabilität, also die Kompatibilität und damit Austauschbarkeit der verschiedenen Systeme, als wichtiges Thema. Hier gibt es sicherlich noch eher großen Verbesserungsbedarf. Für viele Systeme und Lösungen braucht man fast immer eine eigene Software. Die verschiedenen Systeme (z. B. CGM und Insulinpumpe oder CGM und Analyse-Software) sind eben nicht beliebig miteinander kombinierbar.
Alle Ergebnisse des Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2024 unter www.dut-report.de.
Großes Potenzial wird in den nächsten Jahren sicherlich noch in den AID-Systemen liegen, die bereits jetzt eine hohe Bedeutsamkeit haben. Hier kann gerade KI noch einiges zur Personalisierung der AID-Algorithmen beitragen. Das größte Potenzial sehen die Menschen mit Diabetes bei Online-Angeboten zur Sprechstunde und Schulung. Sie wünschen sich zudem spezifische Schulungs-Apps. Die Ergebnisse der Befragung liefern wichtige Anhaltspunkte zur Verbesserung der Versorgung und Identifikation von Themen, die Menschen mit Diabetes wichtig sind.
von PD Dr. Dominic Ehrmann
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