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Bei Folgeerkrankungen des Diabetes denken die meisten Menschen an die Gefäße, das Herz, das Gehirn, die Augen, die Nieren, die Nerven und die Füße. Dass aber auch die Zähne und der Zahnhalteapparat zu den Folgeerkrankungen gehören, ist vielen nicht bekannt. Dabei ist es hier sogar ein Problem in zwei Richtungen: Diabetes und Parodontitis und auch die Risiken dafür beeinflussen sich gegenseitig.
Menschen mit Diabetes kennen das Risiko für Folgeerkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Augen-, Nieren- und Nervenschäden und den diabetischen Fuß. Wenig bekannt ist die wechselseitige Beziehung von Diabetes und Mund-Gesundheit. Zu den häufigsten Mund-Krankheiten im Zusammenhang mit Diabetes gehören:
Die Mund-Gesundheit steht in enger Wechselwirkung mit der Gesundheit im ganzen Körper. So gibt es einerseits gemeinsame Risikofaktoren, die gleichermaßen eine Parodontitis und Allgemeinerkrankungen begünstigen. Das gilt zum Beispiel für einen ungesunden Lebensstil, Stress, Zuckerkonsum, extremes Übergewicht (Adipositas), Rauchen und Alkoholkonsum sowie eine genetische Veranlagung. Andererseits können Mikroorganismen wie Viren und Bakterien und Entzündungsstoffe über die Blutgefäße der Mundschleimhaut in den Blutkreislauf gelangen, sodass eine Parodontitis mit zahlreichen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Herzinfarkt, Schlaganfall und rheumatoider Arthritis (“Rheuma”) assoziiert ist. Die Wechselwirkungen von Parodontitis und Diabetes mellitus sind dabei wissenschaftlich besonders gut belegt.
Eine Gingivitis ist die einfachste Form der Erkrankung: eine Entzündung des Zahnfleischs, die nicht nur mit guten Gewohnheiten bezüglich der Mund-Gesundheit verhinderbar, sondern auch umkehrbar ist. Die ersten Anzeichen sind empfindliches, blutendes oder gerötetes Zahnfleisch. Wird die Gingivitis nicht frühzeitig erkannt, entsteht eine Parodontitis. Viele Patienten wissen nicht, dass sie ein erhöhtes Risiko für eine Parodontitis haben, die sich negativ auf ihre Gesundheit und auch auf die Situation des Zuckerstoffwechsels auswirken kann.
Beide Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig. So erhöht ein Diabetes das Risiko für eine Parodontitis um das Dreifache und eine Parodontitis hat einen negativen Einfluss auf die Blutzucker-Situation. Die Parodontitis ist damit als eine Folgeerkrankung des Diabetes anzusehen.
Als Parodontitis wird die Entzündung des Zahnhalteapparats bezeichnet. Die Parodontitis wird durch aggressive Bakterien im Zahnbelag (Biofilm oder Plaque) ausgelöst. Der Körper reagiert auf den bakteriellen Angriff mit einer chronischen Entzündung von Zahnfleisch und Kieferknochen.
Etwas mehr als jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist von einer Parodontitis betroffen, schwere Formen liegen bei 4 bis 8 Prozent der Erwachsenen und sogar bei 14 bis 22 Prozent der Senioren vor. Bei einer Parodontitis werden nach und nach das Zahnfleisch und der Kieferknochen zerstört, also die Gewebe, welche die Zähne im Kiefer verankern. Unbehandelt kann eine Parodontitis aber nicht nur zu Zahnverlust führen, sondern auch die Allgemeingesundheit beeinträchtigen. Andererseits kann ein Diabetes das Entstehen einer Parodontitis fördern und den Krankheitsverlauf verschlimmern.
Die chronischen Entzündungsherde im Mund können sich nachweislich negativ auf die Situation des Diabetes auswirken. Sie erhöhen die Unempfindlichkeit der Gewebe gegenüber Insulin (Insulinresistenz) und erschweren so die Diabetes-Behandlung. So ist die Stoffwechselsituation bei Menschen mit Diabetes und einer Parodontitis weniger zufriedenstellend als bei Menschen mit Diabetes und gesundem Zahnhalteapparat. Dadurch werden weitere Folgeerkrankungen des Diabetes begünstigt und auch die vorzeitige Sterblichkeit steigt.
Menschen mit Diabetes, die schwer an einer Parodontitis erkrankt sind, haben zum Beispiel ein 2,3-fach erhöhtes Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, als Menschen mit Diabetes, deren Zahnhalteapparat nicht oder nur schwach entzündet ist. Bei Menschen, die als Folge eines Diabetes Nierenerkrankungen haben, liegt das Risiko, an einem Nierenversagen zu sterben, sogar um das 8,5-Fache höher, wenn sie zusätzlich eine schwere Parodontitis haben. Aber auch bei Menschen ohne Diabetes ist das Risiko für das Entstehen eines Diabetes als Folge der Parodontitis erhöht.
Eine erfolgreiche Behandlung der Parodontitis kann nicht nur Symptome im Mund, sondern auch die Situation des Diabetes verbessern. Die Blutzuckerwerte können hierbei entscheidend gesenkt werden. Somit reduziert sich die Wahrscheinlichkeit für Folgeerkrankungen des Diabetes auf das normale Risiko. Mit einer konsequent durchgeführten und regelmäßigen Mundpflege kann man sehr viel tun, um sich vor einer Parodontitis zu schützen.
Sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes gelten nachweislich als Risikofaktoren für Parodontitis. Das erhöhte Risiko steht im direkten Zusammenhang mit den Blutzuckerwerten: Sind die Werte normnah, ist das Risiko nicht erhöht. Sind die Werte in höheren Bereichen, nimmt das Risiko für die Zerstörung des Zahnhalteapparats und Zahnverlust zu. Menschen mit Diabetes und normnahen Blutzuckerwerten sprechen zudem ähnlich gut auf eine Behandlung der Parodontitis an wie Menschen ohne Diabetes.
Es ist wichtig, den behandelnden Zahnarzt über den Diabetes-Typ, die Dauer der Diabetes-Erkrankung, die Blutzucker-Situation und das Vorhandensein von Folge- und Begleiterkrankungen zu informieren, da diese Faktoren die Wahrscheinlichkeit für eine Parodontitis und deren Verlauf und Schwere beeinflussen können. Nur wenn der Zahnarzt über die Diabetes-Erkrankung informiert ist, kann er die Behandlung optimal darauf abstimmen.Außerdem verringert ein Diabetes bei unbefriedigender Blutzucker-Situation den Erfolg einer Therapie der Parodontitis.
Die wichtigste Voraussetzung, um Erkrankungen des Zahnhalteapparats und der Zähne vorzubeugen, ist die regelmäßige häusliche Mundhygiene einschließlich der Reinigung der Zahnzwischenräume. Da Parodontitis selten Schmerzen verursacht, ist es wichtig, auf Warnzeichen zu achtenwie Zahnfleischbluten, geschwollenes und gerötetes Zahnfleisch, Mundgeruch, Änderung der Zahnstellung, länger werdende und gelockerte Zähne sowie einen Rückgang des Zahnfleischs. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, mindestens einmal jährlich zur zahnärztlichen Kontroll-Untersuchung zu gehen und dabei auch den Zustand des Zahnhalteapparats überprüfen zu lassen.
Mit dem Parodontalen Screening-Index (PSI), einer Früherkennungs-Untersuchung des Zustands des Zahnfleischs, können Zahnärztinnen und Zahnärzte bereits frühe Formen der Erkrankung erkennen. Durch eine umfassende Untersuchung kann dann die endgültige Diagnose einer Parodontitis gestellt werden.
Mit dem Selbsttest auf www.paro-check.de können Patientinnen und Patienten überprüfen, ob bei ihnen der Verdacht auf eine Parodontitis besteht. Neben gründlicher häuslicher Mundhygiene und regelmäßigem Einhalten zahnärztlicher Kontroll-Untersuchungen trägt auch eine gesunde Lebensführung zum Vorbeugen bei: Mit dem Verzicht aufs Rauchen, abwechslungsreicher und ausgewogener Ernährung, ausreichend Bewegung und Vermeiden von psychischem Stress kann das Risiko sowohl für Parodontitis als auch Diabetes mellitus Typ 2 reduziert werden.
Da sowohl die Parodontitis als auch der Diabetes System-Erkrankungen sind, die über Organ- und Fachgrenzen hinausgehen und sich wechselseitig beeinflussen, erfordert die optimale Behandlung der Parodontitis bei Diabetes einen ganzheitlichen Ansatz, der Zahnmedizin und Diabetologie umfasst. Eine effektive Behandlung der Parodontitis kann nicht nur die lokalen Symptome, sondern auch den Status und damit die Behandlungsmöglichkeiten des Diabetes verbessern. Die Behandlung einer Parodontitis muss also Bestandteil des Diabetes-Managements sein, wie auch normnahe Blutzuckerwerte eine erfolgreiche Therapie der Parodontitis sichern. Ein besonderes Augenmerk sollte auf der Früherkennung von Risikopatienten durch Screening-Maßnahmen liegen.
Die ärztliche Betreuung der an Parodontitis erkrankten Menschen wie auch der Menschen mit Diabetes ist lebenslang notwendig. Die Patientinnen und Patienten müssen in hohem Maß mitarbeiten, um die Erkrankungen gut im Griff zu haben. Haus- und Zahnärztinnen und -ärzte sollten ihre Patientinnen und Patienten gemeinsam unterstützen, beraten und motivieren, um einen langfristigen und bestmöglichen Behandlungs-Erfolg zu erzielen.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (4) Seite 16-19
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